unserer Pflegestelle Kathrin und Martin Menges
27.01.2023
Einblicke in das Seelenleben eines Rudels.
Eigentlich wollte ich schon lange darüber schreiben. Adressiert ist dieser Beitrag an alle, die sich für das
Leben mit einem Rudel interessieren oder vielleicht sogar darüber nachdenken, selbst mehr als zwei Hunde
zu haben.
Warnung: Der Text wird länger...
Eine bewußte Entscheidung, dass wir mal ein eigenes Rudel wollen, haben wir nie getroffen. Und - ganz
ehrlich - hätten wir auch nie. Aber die Dinge entwickeln sich und bekommen eine eigene Dynamik. Nach
einem sehr langen Entscheidungsprozess haben
wir vor über 12 Jahren Siwah als Welpen
bekommen, zwei Jahre später dann Zhuri -
ebenfalls als Welpen. Das war eine Super-
Entscheidung. Doppelter Spaß, doppelte Action,
kaum mehr Arbeit. Als meine Arbeitssituation sich
zum Ende meiner aktiven Zeit entspannte, haben
wir 2017 die Aufgabe als Pflegestelle für die RR
Jambo Hilfe e.V. übernommen. Bis heute hatten wir
12 Pflegehunde, und man ahnt es - wir konnten
nicht alle gehen lassen. 3 Mädchen sind geblieben.
Kira und Bibi 2018, Rada - unser neuestes Pubertier
- dann 2022. 5 Ridgeback-Mädchen , 5 völlig
verschiedene Charaktere. Siwah, die Rudelführerin.
Als Junghund eine Abrissbirne auf der Hundewiese,
heute jedoch eher etwas unsicher, führt aber im
entscheidenden Moment das Regiment. Zhuri, die
ewig süße, zarte Kuschelmaus, die auch als Omi
noch aussieht wie ein Baby. Kira, das Urvieh. Sie
tötet die Hühner vom Nachbarn, prügelt sich mit
Wildschweinen, ist beschaffungskriminell und eine
leidenschaftliche Co-Köchin. Bibi, die sensible,
elegante Sprinterin. Eigentlich physisch am
stärksten, aber doch die letzte in der Hierarchie.
Und nun noch Rada. So ganz anders, ein Mädel fast
wie ein Rüde. Kräftig, kompakt, ungestüm, durch
die Pubertät grad oft recht nervend, aber auch
wieder super süß und kuschelig. Der
Vollständigkeit halber:
Es gibt noch Sparky - ein 9 kg Wutz, der sich für King Louis hält. Die Mädels lieben ihn.
Aber was bedeutet es, mit einem Rudel zu Leben? Schauen wir uns zunächst die Reaktionen der Leute an. Sie
reichen von Erstaunen und Bewunderung über Unverständnis bis hin zu Bemerkungen wie "asoziales Pack".
Am Strand und in dem riesigen Freilaufgebiet am Rhein, wo wir bis 2019 gelebt haben, gehen einem die
meisten Hundebesitzer aus dem Weg. Mit anderen schließt man Bekanntschaften und geht viele schöne
gemeinsame Spaziergänge. Aber - so richtig entspannt sind die nie. Eine Gruppe von RR-Mädels ist
immer für Überraschungen gut - auch für unangenehme, wie z.B. eine Abstimmung per Blick
in einer Hundertstel Sekunde und dem folgenden Aufbruch zur Jagd. Konnte ich zwei Hunde
noch stoppen, hatte ich beim Rudel nur eine Chance, wenn ich körpersprachliche
Vorwarnungen sofort mit einer Anweisung parierte - was aber nicht klappt, wenn man grad
mit jemand anderem schnackt. Gassi-Runden mit 4 oder 5 RR ohne Leine gehen wirklich nicht
überall. Wir haben das Glück, dass wir in Deutschland ein 2 Hektar Grundstück besitzen und
im Winter in Spanien auf eine tolle Landschaft ohne großes Stresspotential zurück greifen
können. Sonst ginge es nicht. Kathrin ist früher jahrelang mit vier Hunden 4-5 x pro Woche
10km gejoggt, aber dafür sind unsere Mädels jetzt zu alt. Mit einem Rudel zu leben bedeutet,
alles andere - wirklich alles - hinten anzustellen. Urlaub ohne Hunde ist eigentlich undenkbar.
Wer nimmt schon 5 Hunde? Eine Pension war nie eine Option für uns. Wir hatten bisher die
sehr glückliche Situation, dass unser Super-Dogwalker Winnie einmal im Jahr für 2 Wochen
bei uns an der Ostsee Urlaub machte, sich dabei um unsere Hunde kümmerte und wir
dadurch ohne Hunde verreisen konnten. Aber planen kann man so etwas nicht.
Was man auch wissen muss: Kommt ein neuer Hund ins Rudel, lernen alle anderen sofort
dessen Macken und übernehmen sie. Und der Neue lernt sofort die Macken der andern.
Umgekehrt - also die Übernahme von willkommenen Verhaltensmustern - habe ich nie erlebt.
Kommen wir zu den Kosten: Es fängt an mit einem großen Auto (z.B. Mercedes V-Klasse in
extralang), geht über 5 große Hundeschlafkissen, zig Decken, 60 kg hochwertiges
Trockenfutter pro Monat, Impfungen, Kontrolluntersuchungen, ständig laufende
Waschmaschinen und Trockner usw.. und endet in den ungeplanten Kosten, in der Regel für
den Tierarzt. Bauchspeicheldrüsenentzündung, Magendrehung, Vergiftung, Tumor-OPs,
Verletzungen nach einer epischen Schlacht mit einem Wildschwein und - natürlich - 2-3 mal
pro Jahr Verletzungen wegen "Meinungsverschiedenheiten" im Rudel. Unvermeidbar, extrem
spontan, oft nur für Sekunden... Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Natürlich habe ich
gleich 2x den Fehler aller Fehler gemacht und bin reflexartig dazwischen gegangen statt den
Wasserschlauch in Betrieb zu nehmen und durfte dann selbst ins Krankenhaus.
Was steht nun gegen all diese "Abers"? Ganz einfach: Unendliches Glück. Das Vertrauen, das
unsere Hunde uns entgegenbringen. Kuschelstunden ohne Ende. Atemberaubende Bilder von
einem Rudel, das wilde Renn- und Kampfspiele auf einer großen Wiese mit Meter-hohem Gras
vollführt. Lustige Szenen, kuriose Ereignisse, unendlich viele schöne Stunden. Hunderte von
Nächten, in denen ein zufrieden tief ausatmender Hund sich an einen kuschelt. Ein Meer
voller positiver Emotionen.
Aber - das dicke Ende kommt zum Schluss. Unsere Mädels sind jetzt 12,5 / 11,5 / 10,5 und 10
Jahre alt.
Nur Rada ist noch keine zwei.
Wir müssen grad erleben, was wir immer gewußt haben, aber doch nie wahrhaben wollten.
Unsere Mädchen werden uns bald nach und nach verlassen. Die Älteste kränkelt schon seit
fast einem Jahr, fängt sich wieder, um dann wieder abzubauen. Die 10-jährige hat, das wissen
wir seit heute, wohl einen Tumor am Auge und muss morgen operiert werden. Die 11-jährige
Kira ist dem Tod schon mehrfach von der Schippe gesprungen, zuletzt mit einer
Magendrehung. Wer sich mit dem Gedanken beschäftigt, ein Rudel haben zu wollen, der muss
diesen Aspekt unbedingt mit einbeziehen. Das Ende
kann einen zerreissen. Bei einem Leben mit einem Rudel potenziert sich alles - im Guten wie
im Schlechten.
Bereuen wir unser Rudel zu haben?
Nein, niemals - im Leben nicht.
Würden wir es noch einmal tun?
Nein, nicht vorsätzlich.
Würden wir ohne ein Ridgeback-Mädchen leben wollen?
Niemals.
Text@Martin Menges